Das
Mahnmal von Micha Ullman auf dem Bebelplatz in Berlin
Die lang anhaltende Diskussion um den Bau einer Tiefgarage
auf dem Berliner Bebelplatz zwischen Staatsoper Unter den Linden und Kommode
hat sich inzwischen gelegt, das Bauvorhaben wurde umgesetzt. Dennoch zeigt
die kontrovers geführte Debatte die große Sensibilität,
von welcher der Umgang mit dem historischen Erbe der Deutschen nach wie
vor geprägt ist.
Bebelplatz, Berlin Mitte: Hier fand am 10. Mai 1933 unter der Losung "Wider
den undeutschen Geist" die Bücherverbrennung statt, als von
der deutschen Studentenschaft maßgeblich organisierte und von den
führenden Institutionen der Nationalsozialisten unterstützte
Aktion. Der 10. Mai war der Beginn der Vernichtung unliebsamen Denkens
in Deutschland, der Vernichtung von Werken antinationalistischer, jüdischer
und kommunistischer SchriftstellerInnen und WissenschaftlerInnen. Welche
Entwicklungen dieser kulturellen "Säuberung" folgten, ist
bekannt.
1993 erfolgte eine Ausschreibung des Senats von Berlin und des Bezirksamtes
Berlin-Mitte zur Umgestaltung des historischen Ortes Bebelplatz. Seit
dem 20. Mai 1994 erinnert Micha Ullmans Mahnmal "Bibliothek"
an die Ereignisse von 1933.
Ullmans Mahnmal unterscheidet sich nicht nur in seiner räumlichen
Dimension von anderen Projekten in der Hauptstadt, die zur kollektiven
Auseinandersetzung mit deutscher Vergangenheit, zur Bewusstwerdung nationaler
Schuld und der Verantwortung für die eigene Zeit anregen sollen.
Der Bebelplatz hat mit der Umsetzung von Ullmans Entwurf nichts von seiner
Authentizität verloren. Zunächst sieht man nur den leeren Platz
in seiner historischen Gestalt. Erst beim Betreten seines Zentrums, in
der Mitte des Platzes, dort, wo die Bücher brannten, wird das Mahnmal
des israelischen Künstlers sichtbar: Symbolisiert durch einen in
den Boden gelassenen, nicht betretbaren Raum, dessen Wände aus leeren
weißen Bücherregalen bestehen, wird auf simple Weise das Bewusstsein
von Verletzlichkeit und Verlust provoziert. Ein Blick durch die das Mahnmal
nach oben hin abschließende Glasplatte genügt, um die zu Beginn
der nationalsozialistischen Katastrophe unterschätzte und gerade
in unserer Zeit wieder so aktuelle "Unscheinbarkeit" von kultur-
und geisteszerstörerischen Anfängen zu bemerken.
Gleichzeitig macht Ullmans Arbeit aber auch deutlich, dass sich Geist
nicht zerstören lässt: Der unterirdische Raum ist dauernd beleuchtet,
seine Sichtbarkeit transformiert materiell nicht mehr Existentes, die
Unsichtbarkeit von Büchern in durch Erinnerung aufgehobenes Bewusstsein
von dem, was vernichtet wurde und von dem, was vernichtet hat.
"Bücken Sie sich, dann erkennen Sie, dass sich die Oper, die
Kathedrale, die Fakultät im Glas spiegeln." Ein alter
Mann, Antifaschist und Freund der Familie Ullman, steht manchmal auf dem
Platz und erklärt Besuchern die Vielschichtigkeit des Mahnmals. "Die
Freiheit der Kunst, der Wissenschaft, der Religion [ist] nichts Flüchtiges.
Sie muss verteidigt werden." [Waltraud Schwab: Der leere Platz,
Die Tageszeitung vom 10.05.2003]
Das Mahnmal "Bibliothek" erweist sich in seiner subtilen Einfachheit
und vielleicht gerade dadurch in seiner Ausdrucksstärke als Metapher
für die Gefährdungen moderner Gesellschaft.